100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Jüdische Gemeinde antwortet dem „Deutschen“

Die Synagogen-Gemeinde von Sondershausen reagiert mit einem offenen Brief auf die antisemitische Hetze des „Deutschen“. Dessen Redaktion sieht sich natürlich zu Unrecht angegriffen, was aber nicht die Aussage entschuldigt, dass Deutsche nicht von „jüdischen Führer“ geleitet werden dürften (siehe Blog vom 4.12.).

Der jüdische Friedhof in Sondershausen (Aufnahme von 2007)

Aus Sondershausen.

Zur Abwehr!

Unter dieser Ueberschrift läßt der Vorstand der Synagogen-Gemeinde Sondershausen (unterzeichnet H. Redelmeer, Rud. David, Julius Mayer und Max Kaufmann) ein Flugblatt in die Häuser tragen, das sich einleitend zunächst gegen einen hiesigen antisemitischen Hetzfeldzug wendet und dann im besonders fetten Sperrdruck fortfährt:

„Eine besonders scharfe Note in dieser antisemitischen Hetze ist leider durch den Eintritt des Herrn Gustav Schüren, Schriftleiter des hiesigen „Deutschen“, den auch unsere Mitglieder jahrzehntelang bis jetzt täglich gelesen haben, hineingetragen worden. Wie ein roter Faden zieht sich durch viele Nummern dieser Zeitung der antisemitische Unterton und der Kampf des Herrn Schüren gegen das Judentum und seine jüdischen Mitbürger (!)“

Weiter heißt es dann noch:

„In einer Zeit, wo unser geliebtes Vaterland, aus hunderttausend Wunden blutend, am Boden liegt, zertreten und zerpflückt von unsern Feinden, der Spielball von Leidenschaften fast aller Völker, gibt es nur einen Weg und dies ist das friedliche, einmütige Zusammenstehen aller Bürger, aller Stände, aller Konfessionen. Wir klagen deshalb Herrn Gustav Schüren an, durch fortgesetzte Schürarbeit den so bitter notwendigen Frieden in der Bürgerschaft gestört zu haben.“

Durch den Text des Flugblattes „eine besonders scharfe Note in dieser antisemitischen Hetze usw.“ soll anscheinend der Eindruck erweckt werden, als ob wir mit den zunächst geschilderten Vorfällen: Zettelankleben, Anrempelung des jüdischen Rechtsanwalt, Entfernung des Firmenschildes in einem gewissen Zusammenhang ständen. Wir haben, was ja wohl auch unserer gesamten Leserschaft von vornherein selbstverständlich war, mit diesen Vorgängen, die wir selbst in der Zeitung verurteilt haben, nicht das mindeste zu tun, und weisen eine derartige Unterstellung als unerhörte Zumutung zurück.

Was den besonderen Angriff des Flugblattes gegen Herrn Schüren betrifft, so haben wir in dem Aufsatz „Was wir wollen“ in Nr. 284 des „Deutschen“ vom 4. Dezember mit aller Deutlichkeit zu den die Bürgerschaft stark bewegenden Ereignissen der letzten Zeit Stellung genommen. Wir haben uns in scharfer Form gegen die jüdischen Kreise gewandt, die sich zu Führern der radikalgesinnten Arbeiterschaft aufwerfen, in gemeinster Hetze und in unverantwortlicher Weise die niedersten Instinkte aufpeitschen, zu neuer Beunruhigung schüren, den Umsturz predigen und den verblendeten Massen das Trugbild der Diktatur des Proletariats vorgaukeln. Wir haben nicht nötig und sind auch nicht gesinnt, von diesen scharfen Vorwürfen etwas zurückzunehmen, zumal sich ja auch kluge und einsichtige Juden selbst oft genug in ähnlichem Sinne geäußert haben, was wohl die Herren der hiesigen Synagogengemeinde nicht bestreiten können. In unserm Artikel hieß es ausdrücklich:

„Im Kampf um die also geschilderte Betätigung des Judentums, kann es der für das deutsche Wesen mitfühlende Kämpfer nicht verhindern, denjenigen unter den Juden wehe zu tun, die in ihrem ganzen Leben den Beweis einer tadellosen Haltung und Gesinnung gegeben haben. Mit den wenig freundlichen Worten gegen die jüdischen Volksverderber sind auch keineswegs sie gemeint.“

Im vorliegenden Falle handelte es sich für uns um Entfernung des Schülers Wolkiser von der Staatsschule. Mit Genugtuung haben wir festgestellt, daß der Vorstand der Synagogengemeinde unsere Ansicht in der Beurteilung des Falles Wolkiser teilt. Daraus ist doch wohl zu schließen, daß er auch – wie sicherlich die allermeisten Mitglieder der hiesigen jüdischen Gemeinde – auch die vorstehend gekennzeichnete Betätigung gewisser jüdischer Volksverhetzer verurteilt?

Zusammenfassend ist zu sagen, daß durch die Artikel des Herrn Schüren weder eine Beunruhigung oder gar Beleidigung des der radikalen Hetzarbeit fernstehenden Judentums – insonderheit innerhalb der Bürgerschaft unserer Stadt – beabsichtigt gewesen, noch tatsächlich erfolgt ist.

Wir müssen deshalb die gegen Herrn Schüren gerichteten Aeußerungen, mit denen dieser ein bisschen vorschnell und scheinbar mit Fleiß zum „Judenfresser“ gestempelt werden soll, mit aller Entschiedenheit zurückweisen.

Verlag des Sondershäuser Tageblattes „Der Deutsche“.

Quelle:

Der Deutsche vom 9.12.1920

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00246778/SDH_19376538_1920_Der_Deutsche_1240.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00307440

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdisches_Leben_in_Sondershausen#/media/Datei:Jewish_cemetery_Sondershausen.jpg