100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Unfairer Geschäftsvorteil für die Entente

Die Jenaische Zeitung berichtet über eine Rüstungsbeschränkung des Versailler Vertrages, die direkt gegen die Firma Carl Zeiss Jena gerichtet ist. Hinter der Maßnahme vermutet das Blatt das wirtschaftliche Interesse der Briten, die sich auf diese Weise der Jenaer Konkurrenz entledigen wollen. Tatsächlich können die optischen Produkt von Zeiss sowohl für zivile als auch militärische Zwecke verwendet werden.

Werkgelände der Firma Zeiss um 1910

Ein Schlag gegen die Firma Zeiss.

Eine aufsehenerregende Meldung geht der „München-Augsburger-Abend-Ztg.” Von bestinformierter Seite zu. Bekanntlich hat in der Hauptsache die Firma Zeiss in Jena, die weltbekannten und unübertroffenen optischen Werke, im Frieden und im Kriege unser Heer und unsere Marine mit ihren Ferngläsern und photographischen Linsen und Signalapparaten versehen. Zu der Herstellung sind Hunderte von Präzisionsmaschinen nötig und deren Zerstörung wird jetzt genau so wie die sinnlose Vernichtung der Dieselmotoren von den Engländern verlangt, weil es sich um Kriegsgerät handele. Man hofft, diesen Schlag noch abwenden zu können. Man stellt in leitenden Kreisen mit einiger Bitterkeit fest, dass gleichzeitig die englische Firma Austin, die sich ebenfalls mit der Fabrikation von Objektiven befasst, auf Umwegen der deutschen Reichswehr ihre Erzeugnisse an Ferngläsern usw. anbietet.

Vor einiger Zeit berichteten wir, dass die Ententekommission in den Zeisswerken die sinnlose Zerstörung hochwertiger Linsen verlangt und durchgesetzt hat. Nun kommt diese neue Meldung über ein schier unglaubliches Verlangen. Es ist zu erwarten, dass unsere Regierung mit allem Nachdruck gegen die haltlose Begründung Einspruch erheben und damit die Forderung selbst abweisen wird. Das ist grundsätzlich notwendig, denn wenn der Ausdruck „Kriegsgerät” so weit ausgedehnt wird, dann kann man auch zurückgehen auf die Lampen, mit denen die Arbeitsräume beleuchtet, die Oefen, mit denen sie geheizt, ja schließlich die Brote, mit denen die Arbeiter ernährt wurden. Von Recht würde ja bei allen solchen Forderungen nicht mehr die Rede sein, sondern nur von Zwang und brutalster Vergewaltigung.

Der wahre Grund der Forderung liegt aber natürlich nicht in der angeblichen Eigenschaft der Präzisionsmaschinen als „Kriegsgerät”, sondern das ist nur ein Vorwand. Die Absicht geht offenbar dahin, der deutschen Qualitätsarbeit den Todesstoß zu versetzen. Das Arbeiten wird uns ja in gewissen Umfange noch gestattet, sogar den Handel mit England will man uns in mäßigen Grenzen wieder ermöglichen. England wünscht die Wiederaufnahme des Handels mit Deutschland, weil es, um mit [Oswald] Spengler zu reden, den drohenden Untergang des Abendlandes wittert, falls der unsinnige Krieg im Frieden, die heimliche Blockade, das Arbeiten mit den alten schwarzen Listen so weiter wie bisher. Der deutsche Kaufmann weist aber mit Recht darauf hin, dass er den Handel mit England scheuen muss, solange sein Guthaben in englischen Banken, solange keine Ware auf englischen Boden und in englischen Schiffen nicht sicher ist vor politischem Zugriff. Der Zugriff ist den Alliierten nach Paragraph 18 der Anlage 2 zu Artikel 244 Teil 8 des Versailler Pakts erlaubt, sobald Deutschland vorsätzlich seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, was man bei der Undurchführbarkeit des Vertrages ja jede Stunde ausspielen kann. Man will nun im „Ernstfalle” von dem Paragraph 18 keinen Gebrauch machen. Er ist für England ein Fetzen Papier geworden. Man nähert sich in der Frage des internationalen Handels dem dritten Punkte des Wilsonschen Weltfriedensprogramms vom 8. Januar 1918, der da lautet: „Beseitigung soweit sie möglich ist, aller wirtschaftlichen Schranken und die Errichtung der Gleichheit der Handelsbeziehungen unter allen Nationen, die sich dem Frieden anschließen.”

Aber wer nun schon auf eine glückliche Zukunft hoffte, der wird durch die neueste englische Forderung sehr rasch ernüchtert. Denn sie zeigt, dass man uns wohl als Lohnarbeiter zulassen will, dass man aber im Auslande eine heillose Angst hat, Deutschland könnte trotz Kohlen- und Rohstoffmangels, trotz des Valutaelendes und aller inneren und äußeren Nöte doch wieder hoch kommen durch Qualitätsarbeit. Und darum muss zuerst die Industrie vernichtet werden, deren Leistungsfähigkeit man am meisten fürchtet.

Der Krieg wird also mit genau derselben Brutalität fortgesetzt, mit der er bisher geführt worden ist, und heute noch, wie im Jahre 1914, ist es Englands Ziel, Deutschland zum Krüppel zu schlagen. Je klarer wir uns das machen, um so besser werden wir die ab und zu auftauchenden Vorschläge einer deutsch-englischen Annäherung zu würdigen wissen.

Quelle:

Jenaische Zeitung vom 29.10.1920

In: https://zs.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/jportal_derivate_00277666/JZ_Jenaische_Zeitung_169419428_1920_10_0159.tif?logicalDiv=jportal_jpvolume_00376238

 

Bild:

https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Zeiss_(Unternehmen)#/media/Datei:Zeisswerk_Jena_um_1910.jpg