100 Jahre Thüringen
Staatskanzlei Thüringen Weimarer Republik e.V. Forschungsstelle Weimarer Republik an der Uni-Jena

Moderne in Jena


Im Rahmen des Projekts Moderne in der Provinz, haben sich verschiedene Schülerinnen und Schüler der Jenaer Gemeinschaftschule Kulturanum mit Persönlichkeiten der Region beschäftigt, die die Zwischenkriegszeit in der Universitätsstadt entscheidend prägten. Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden anschließend im Stadtmuseum Jena ausgestellt.

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Anna Siemsen -
in Jena 1923 bis 1932

Anna Siemsen (© gemeinfrei)

Anna (Marie Emma Henni) Siemsen wurde am 18. Januar 1882 in Mark in Westfalen geboren. Sie besuchte die höhere Töchterschule in Hamm, absolvierte 1901 das Lehrerinnenexamen und 1905 die externe Abiturprüfung am humanistischen Gymnasium in Hameln. 1909 erhielt sie in Bonn ihren Doktortitel und arbeitete ab 1910 als Lehrerin in Detmold, Bremen und Düsseldorf.

1923 wurde Anna Siemsen vom SPD-Volksbildungsminister Max Greil berufen, beim Aufbau eines modernen demokratischen Bil dungswesens in Thüringen mitzuwirken. Gleichzeitig erfolgte ihre Ernennung zum »Oberschulrat für Allgemein schulen« des Schulbezirks Jena-Weimar. Siemsen leitete in der Folge für wenige Monate das Städtische Lyzeum in Jena (Mädchenschule / heute Grete-Unrein Schule). Während ihres Aufenthalts in Jena wohnte sie mit ihrer Mutter in der Moltkestraße 6 (heute Wilhelm-Külz-Straße).

Gegen Widerstände aus rechts-konservativen Kreisen trat Siemsen 1923 eine Honorarprofessur an der Uni Jena an. Sie hielt Vorlesungen und Seminare im Pädagogischen Seminar in der Grietgasse. Sie war ferner eine sehr gefragte Gastlehrerin in der Jenaer Volkshochschule. Nach dem Ende der linken Regierungsphase in Thüringen wurde Siemsen 1924 als Beamtin in den Wartestand versetzt. 1932 entzog ihr das nationalsozialistisch geführte Thüringer Volksbildungsministerium die Lehrererlaubnis.

Lyzeum Jena, 1920er Jahre (© Stadtmuseum Jena)

Neben ihrer Arbeit als Lehrerin war die Sozialdemokratin Siemsen Schriftstellerin. Sie veröffentlichte viele Werke, zwei davon in Jena. 1925 brachte sie ihr »Buch der Mädel« heraus, in welchem sie sich mit der Arbeit schwarzafrikanischer Frauen und mit Märchen von den Südseeinseln beschäftigte. Ihr zweites Buch erschien 1929 unter dem Namen »Menschen und Menschenkinder in aller Welt«. Darin nahm Siemsen Bezug auf Geschichten aus anderen Ländern und ging auf deren verschiedenen Lebensräume ein. Die sozialistisch geprägte Autorin wollte damit ein vorurteilsfreies Bild aller Menschen vermitteln, das der Gleichberechtigung dient.

Siemsen emigrierte mit Beginn des »Dritten Reiches« 1933 in die Schweiz. Dank einer Schein-Ehe mit dem Sekretär der Schweizer Arbeiter-Jugend Walter Vollenweider erhielt sie eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte sie nach Deutschland zurück und beteiligte sich trotz schwerer Krankheit in Hamburg am Aufbau eines demokratischen Bildungswesens. Am 22. Januar 1951 starb Anna Siemsen in der Hansestadt.

Yasmin Barthel, Leonie Dierl

Walther Bauersfeld –
in Jena von 1905 bis 1945

Walther Bauers (© gemeinfrei)

Walther (Wilhelm Johannes) Bauersfeld war Ingenieur, Physiker und Geschäftsführer bei Carl Zeiss Jena. Er wurde am 23. Januar 1879 in Berlin geboren. Nach seinem Schulabschluss studierte er Maschinenbauwesen an der Königlich Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg. 1902 legte er dort die Diplomprüfung ab. In den folgenden zwei Jahren promovierte er mit einer Dissertation über »Die automatische Regulierung von Turbinen«.
1905 begann Berger in Jena – zunächst mit wenig Erfolg –, die handwerkliche Produktion bei der Firma Carl Zeiss zu rationalisieren. Nach einer Zwischenstation als Forscher für Motorflugwesen wurde er 1908 Mitglied der Geschäftsleitung von Carl Zeiss Jena. Ab 1927, seinem 48. Lebensjahr, dozierte er in der Jenaer Universität als Professor für Astronomische Physik.

Schon 1919 entwickelte Bauersfeld Pläne zu einer freitragenden Kuppel, auf deren Fläche die Bewegung des Sternenhimmels wiedergegeben und astrophysische Phänomene graphisch dargestellt werden sollten. 1922 entwickelte er in Zusammenarbeit mit dem Bauingenieur Franz Dischinger eine Methode zur Herstellung von stützenfreien und weitgespannten Dachschalen. Dieses Verfahren wird Zeiss-Dywidag-Schalenbauweise genannt. 1923 vollendete er auf dessen Grundlage das erste Projektionsplanetarium. Oskar von Miller leitete den Bau. Der Ingenieur arbeitete in der Folge eng mit Bauersfeld zusammen. Dessen erstes Modell eines Großprojektors wurde schließlich 1924 in München installiert.

Bereits im Vorfeld war eine Anlage auf dem Dach des Jenaer Fabrikgebäudes entstanden, die für Versuchszwecke genutzt wurde. Jenas Lokalpresse feierte die Einrichtung als »Wunder von Jena«. Rund 80.000 Menschen wollten das betrachten. Aufgrund des Erfolges plante die Firma Carl Zeiss ab 1924, für Jena ein eigenes Planetarium zu errichten. Bauersfeld entwickelte dafür einen zweiten Projektor, welcher später für viele andere Städte in Serie gefertigt wurde. Das Jenaer Planetarium wurde am 17. Juli 1926 feierlich eröffnet. Seither ist es das einzige, welches seit der Eröffnung dauerhaft in Betrieb ist. Im Jahr 2012 wurde der neunmillionste Besucher des Zeiss-Planetariums feierlich begrüßt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete Bauersfeld an der Technischen Hochschule in Stuttgart als Honorarprofessor. Im Anschluss baute er ab 1949 die Zeiss-Opton und Optischen Werke bei Oberkochen in der Nähe von Heidenheim mit auf. Walther Bauersfeld starb am 28. Oktober 1959 in Berlin.

Felix Fischer, Holm Delitz

Felix Auerbach –
in Jena von 1889 bis 1933

Der Physiker und Akustiker Felix Auerbach wurde 1856 in Breslau geboren. 1889 kam er zusammen mit seiner Ehefrau Anna (geb. Silbergleit) als Professor für Theoretische Physik nach Jena. Dies geschah unter anderem auf Wunsch von Ernst Abbe. Sein Forschungsspektrum reichte von der Musik über Hydrodynamik bis hin zur Überprüfung und Auswertung von Messgeräten. Auch Texte zu Grundlagen der Physik und naturphilosophische sowie historische Schriften über das Zeiss Werk, die Carl-ZeissStiftung und Ernst Abbe wurden von ihm veröffentlicht.

Auerbach war einer der wenigen jüdischen Hochschullehrer an der Jenaer Universität. Felix und Anna hatten in ihrem Elternhaus gelernt, sich ihrer Wurzeln bewusst zu sein und diese zu pflegen. Beide wurden jedoch zu Freigeistern und schlossen sich deshalb vor dem Ersten Weltkrieg keiner Religionsgemeinschaft mehr an. Sie vertraten pazifistische Positionen.

Felix und Anna Auerbach zogen zunächst in ein Haus in der Mozartstraße 1. Nachdem sich das Ehepaar recht schnell in Jena eingelebt hatte, gründete Felix mit dem Lawn-Tennis-Club den ersten Rasen-Tennis-Club in Jena. 1903 waren die Auerbachs Mitbegründer des Jenaer Kunstvereins. Ihre Wohnung wurde zum Treffpunkt von Gelehrten, Künstlern, Schriftstellern und Musikfreunden. Überdies erteilte das Ehepaar 1924 Walter Gropius den Auftrag, nach den Bauhaus-Prinzipien in der Schaeffer straße 9 ein Haus zu errichten, das 1925 fertiggestellt wurde.

Nach dem Tod ihrer Mutter 1916 stiftete Anna Auerbach ein Stipendium für Studentinnen. Sie leitete ab 1925 eine Ortsgruppe der Internationalen Frauenliga, die für Freiheit und Frieden stand, und trat der SPD bei.
Felix Auerbach erhielt 1909 den Titel Hofrat, 1923 erhielt er eine sogenannte persönliche ordentliche Professur für Theoretische Physik an der Universität Jena. Das Thema seiner Antrittsvorlesung lautete »Die Furcht vor der Mathematik und ihre Überwindung«. Das unter demselben Titel erschienene Buch richtete sich primär an seine Wissenschaftskollegen, welche er damit ermutigen wollte, sich in der Physik mathematischen Herausforderungen zu stellen.

Zum 1. April 1927 ließ sich Auerbach von seinen amtlichen Pflichten entbinden. Er erlitt im Folgenden zwei Schlaganfälle. Nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten und den damit zunehmenden antisemitischen Repressalien wählten Anna und Felix Auerbach am 26. Februar 1933 den Freitod.

Pascal Tänzer

Hans Berger –
in Jena von 1897 bis 1941

Hans Berger (© gemeinfrei)

Hans Berger wurde am 21. Mai 1873 in Neuses/Coburg geboren. Er studierte Mathematik und Astronomie, später Medizin in Berlin. 1897 begann er in Jena seine ärztliche Tätigkeit als Assistent an der Psychiatrischen Klinik unter der Leitung von Otto Binswanger. Er habilitierte sich 1901 und untersuchte ab 1902 die Hirnrinde von Tieren, um deren psychische Energie nachzuweisen. So suchte Berger nach Wegen, die Beziehung zwischen Körper und Seele, also die Kluft zwischen Natur und Geist zu überbrücken. Über Jahrzehnte experimentierte der Einzelgänger, brach seine Versuche aber auch immer wieder verzweifelt ab, um sie daraufhin erneut zu beginnen.

EEG-Kurve (© gemeinfrei)

Bei der elektrotherapeutischen Behandlung von sogenannten Kriegsneu roti kern gelang es Berger 1924 erstmals, Spannungsschwankungen im Gehirn aufzuzeichnen und mittels Elektroenzephalographie (EEG) eine Methode zur Messung der menschlichen Hirnströme zu entwickeln. Im Laufe der folgenden Jahre konnte er alle wichtigen Muster- und Krankheitsbilder beschreiben. Das Elektroenzephalogramm ist die bis heute verwendete Standardmethode, derartige Schwankungen grafisch darzustellen. Dabei fand seine bahnbrechende Entdeckung viele Jahre keine Anwendung. Erst 1934 stieß der englische Neurophysiologe Edgar Douglas Adrian auf die 1929 veröffentlichten Arbeiten und erkannte die Tragweite der Entdeckung. Erreichen konnte Berger dieses Ziel nach einer Selbstbeschreibung in seiner Schrift »Psyche« nur dadurch, dass er einen festen Glauben an »die echte Gedankenübertragung« entwickelt hatte.

Gedenktafel für Hans Berger an der Uni Jena (© Foto privat)

Hans Berger wurde 1919 Nachfolger von Otto Binswanger als Direktor der Psychiatrischen Klinik sowie Ordinarius, 1927 bis 1928 bekleidete er das Amt des Rektors der Jenaer Universität. Er war förderndes Mitglied der SS und wurde 1938 in den Ruhestand versetzt. Damit endete auch seine Tätigkeit als ärztlicher Beisitzer am Erbgesundheitsobergericht (EGOG) Jena, wo er am Programm zur Zwangssterilisation im nationalsozialistischen Deutschland mitwirkte. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieg wurde ihm 1939 nochmals die Klinikleitung übertragen. Er wurde für die Entdeckung der Hirnströme dreimal für den Nobelpreis 1940 vorgeschlagen. Am 1. Juni 1941 beging der schwer depressive Hans Berger Suizid. Trotz seiner Beteiligung an NS-Verbrechen trägt die Jenaer »Hans-Berger-Klinik« den Wissenschaftler bis heute in ihrem Namen.

Elena Hachenburg

Mathilde Vaerting –
in Jena von 1923 bis 1933

Mathilde Vaerting (© gemeinfrei)

(Maria Johanna) Mathilde Vaerting wurde am 10. Januar 1884 in Messingen geborgen. Ab 1907 studierte sie Philosophie, Mathematik, Naturwissenschaften sowie einige Semester Latein. 1911 wurde sie im Fach Psychologie an der Universität Bonn promoviert. Ihre Habilitationsschrift »Neubegründung der Psychologie von Mann und Weib« wurde 1919 jedoch von der Universität Berlin abgelehnt. Trotzdem berief der linke Minister für Volksbildung in Thüringen, Max Greil, Vaerting 1923 als zweite ordentliche Professorin in Deutschland überhaupt an die Universität Jena. Das geschah gegen den Willen der Universitätsleitung. Grundsätzlich abgelehnt wurden Vaertings politisch linke Einstellung wie auch, dass sie eine Frau war. Zudem wollte der Senat der Universität Jena keinen eigenen Lehrstuhl für die neu gegründete Erziehungswissenschaftliche Abteilung einrichten.

Universitätshauptgebäude Jena (© Ansichtskarte)

Die daraufhin von Kollegen als »Zwangsprofessorin« verpönte Vaerting hielt ihre Antrittsvorlesung 1923 über »Erziehung zum Kulturfortschritt«. In der Folge sah sie sich massiven Angriffen ausgesetzt, wobei sich insbesondere der Zoologe und bekennende Antisemit Ludwig Plate hervortat. Unter anderem veröffentlichte dieser eine Schmähschrift mit dem Titel »Feminismus unter dem Deckmantel der Wissenschaft«. Als 1924 eine neue bürgerliche Koalition in Thüringen die Regierung bildete, wurden zudem weite Teile der Greilschen Reformen zurückgenommen. Auch die von ihm berufenen Professoren sollten wieder aus dem Universitätsbetrieb ausscheiden. Vaerting behauptete sich jedoch beharrlich gegen sämtliche Angriffe. Erst mit Beginn des »Dritten Reiches« scheiterte ihr Widerstand. Am 29. April 1933 wurde sie zunächst vom Thüringischen Volksbildungsministerium aufgrund des Gesetzes zur »Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« beurlaubt und zum 1. Juli 1933 von der Universität entlassen. Den Antrag hierzu stellte der Physiker und Rektor der Thüringischen Landesuniversität Jena Abraham Esau. Als Grund wurde angegeben, dass Vaerting politisch unzuverlässig sei. Mit Publikations- und Ausreiseverbot behaftet, zog sie sich daraufhin zuerst in ihre niedersächsische Heimat, später zu ihrer Schwester Stephanie in das thüringische Roßleben zurück. Nach dem Krieg knüpfte sie in der Bundesrepublik wieder an ihre Arbeiten an und wurde vordergründig im Bereich der Staatssoziologie tätig. Mathilde Vaerting starb am 6. Mai 1977 in Schönau im Schwarzwald.

Jasmin Sipeer, Hannah Kühnemund

Elisabeth Oestreich –
in Jena von 1909 bis 1994

Die am 10. Juni 1909 in Jena geborene Elisabeth Oestreich (verheiratete Nöckel) war die erste Thüringer Olympiateilnehmerin. Überdies wurde sie 1928 schon mit 19 Jahren als erste deutsche Frau in der Geschichte zu den olympischen Spielen in der Leichtathletik zuge lassen. Als Athletin war sie eine Pionierin und wurde zu einer der wichtigsten Vorkämpferinnen des Leistungssportes für Frauen in Thüringen.

1926 hatte Elisabeth Oestreich die Mitteldeutsche Meisterschaft über 1.000 Meter gewonnen und dabei die Rekordmarke von 3:15.5 Minuten aufgestellt. Aufgrund dessen wurde sie zu mehreren Olympia kursen eingeladen. 1927 brach Oestreich den deutschen Rekord über die 800 Meter. Sie absolvierte die Strecke in 2:36.0 Minuten. Diese Marke wurde allerdings nach 14 Tagen von der späteren Olympiasiegerin Lisa Radke Batschauer mit einem 8 Sekunden schnelleren Lauf wiederum unterboten. Ihren größten Erfolg feierte Oestreich 1928. In diesem Jahr erreichte sie bei den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften über 800m den dritten Platz. Durch ihre überragenden Leistungen zählte sie in den Jahren zwischen 1926 und 1928 zu den besten Mittelstreckenläuferinnen in Deutschland.

Für die Sportlerin ohne Übungsleiter war das Training eine willkommene Freizeitbeschäftigung, der sie unter semiprofessionellen Bedingungen nachging. So nahm Oestreich für Olympialehrgänge und Wettkämpfe Urlaub. Für die 19-Jährige wurde auch der Aufenthalt bei den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam, trotz der verfehlten Qualifikation für das Finale, ein großes Erlebnis. 1929 beendete Oestreich ihre Laufbahn in der leistungsorientierten Leichtathletik, doch blieb sie bis 1933 sportlich aktiv.

Über den weiteren Lebensweg von Oestreich ist wenig bekannt. Vermutlich ist sie nach dem Karriereende ihrem Beruf als technische Zeichnerin bei der Firma Carl Zeiss nachgegangen – allerdings wohl weniger engagiert wie zuvor, da sie viel Zeit damit verbrachte, ihre Söhne und andere Familienmitglieder zu versorgen. Oestreich starb am 21. Mai 1994 in Jena.

Maja Walz, Juliana Reinhold

Otto Eppenstein –
in Jena von 1901 bis 1942

Otto Eppstein (© gemeinfrei)

(Martin) Otto Eppenstein wurde am 10. Oktober 1876 in Niederschlesien geboren. Sein Vater war der jüdische Kaufmann Richard Eppenstein, über seine Mutter ist nichts bekannt. Das Abitur absolvierte er 1894 am St. JohannesGymnasium in Breslau. Ab 1894 bis 1900 studierte Eppenstein Physik, Mathematik und Philosophie in Heidelberg, Breslau, Wien sowie in Jena, anschließend auch ein Semester Maschinenbau in Dresden. 1901 kam er wieder nach Jena und wurde zum Assistenten an der Universitätssternwarte. Parallel beschäftigte sich Eppenstein mit geometrischer Optik. 1907 übernahm er die Leitung der neuen Abteilung für Entfernungsmesser der Firma Carl Zeiss. Diese Tätigkeit musste er allerdings aufgrund des Ersten Weltkrieges unterbrechen.

1919 wurde die Abteilung zeitweise geschlossen, da Entfernungsmessgeräte nicht benötigt wurden. Eppenstein leitete von da an bis 1938 die neu gegründete Warengruppe »Fein meß«. Daraufhin begann bereits um 1920 in Jena der Bau von Messgeräten mit optischen Komponenten, die eine echte Alternative zu den herkömmlichen feinmecha nischen Messmitteln boten. Durch Eppensteins Wirken erlangte Carl Zeiss eine Führungsrolle auf dem Gebiet der Feinmesstechnik für Industrie, Forschung und Lehre. 1922 entwickelte er das erste Messgerät nach dem Eppenstein-Prinzip. Durch die Kombination von optisch-mechanischen Komponenten konnten damit fortan zufällige Messabweichungen infolge der Verkippung von Linsen verringert werden. Von Eppenstein stammt auch die »Goldene Regel der Messtechnik«: Die Ungenauigkeit des verwendeten Messgerätes sollte höchstens ein Zehntel der zu prüfenden Toleranz am Prüfling betragen.

Carl-Zeiss-Werke 1922 (© Ansichtskarte)

Otto Eppenstein führte die Entfernungs mess abteilung bis zu seinem Tod und entwickelte darüber hinaus zahlreiche Geräte von Weltrang. Insgesamt 86 Patente geben Zeugnis von seinem Lebenswerk – fast alle Erfindungen bezogen sich auf Entfernungsmess geräte, deren Einzelteile, Justierung und Zusatzkomponenten.

Schon 1924 war Eppenstein vom Judentum zum Christentum konvertiert. Den noch wurde er ab 1933 mittels »Rassengesetzgebung« im »Dritten Reich« stigmatisiert. Nur aufgrund seiner »kriegswichtigen Tätigkeit« durfte er weiter arbeiten. Ferner hielt die Geschäftsleitung von Carl Zeiss ihre schützende Hand über den Physiker. 1942 wurde seine Schwester vom NS-Regime verschleppt und ermordet. Gustav Eppenstein blieb vom Schicksal der Deportation verschont. Er verstarb am 8. Oktober 1942 nach schwerer Krankheit in Jena.

Julian Ulrici, Dominik Hempfe

Peter Petersen –
in Jena von 1923 bis 1952

Peter Petersen (© Foto Petersen Archiv, Vechta)

Peter Petersen wurde am 26. Juni 1884 in Großenwiehe bei Flensburg geboren. Als Schüler der Dorfschule erhielt er hier erste Anregungen für sein späteres Schulmodell, denn es lernten die Kinder verschiedenen Alters zusammen. Ab 1904 studierte Petersen in Leipzig, Kiel, Kopenhagen und Posen Philosophie, Psychologie, Theologie, Geschichte, Philosophie, Englisch, Hebräisch und Nationalökonomie. 1923 wurde er Professor an der Universität Jena.

Petersen entwickelte hier in einer Versuchsschule die pädagogische Tatsachenforschung, die man als vorurteilsloses Erfassen all dessen bezeichnen kann, was im Klassenzimmer passiert. Ziel war es, unter der Bezeichnung »Jenaplan« eine Unterrichtsform zu etablieren, in welcher Kinder jeglicher Lernanforderung gehen konnten, ohne über- oder unterfordert zu sein. Jeder sollte im eigenen Lerntempo arbeiten können. Ebenso galt es, eine stark durchmischte Schülerschaft aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten zusammen zu unterrichten. Überdies waren alle Schüler vom ersten bis zum zehnten Schuljahr im selben Klassenverband integriert. Die Arbeit passierte in Gruppen. Petersen definierte dies als »Sozialform«, da die Mischung aus unterschiedlichen Jahrgängen das geistige Wachsen aneinander fördern sollte.

Gruppenarbeit 1928 (© Foto Petersen Archiv, Vechta)

Ab 1933 kooperierte Peter Peterson mit NS-Behörden, um sein Thüringer Modell einer universitären Ausbildung der Volksschullehrer fortzusetzen. Er war kein NSDAP-Mitglied, bediente sich aber einer rassistischen Rhetorik. Sämtliche Versuche, die Nationalsozialisten von seinem Schulmodell zu überzeugen, scheiterten. NS-Bildungspolitiker lehnten ihn und seine Konzepte ab, was zur Ausgrenzung führte. Ab 1939 durfte Petersen unter anderem keine Volksschullehrer mehr ausbilden. Seine Bemühungen zur Kooperation gingen trotzdem weiter. In den letzten Kriegsjahren unterrichtete Petersen an Führungsschulen den Nachwuchs von NS-Behörden. Ab 1944 beteiligte er sich auch an einer Vortragsreihe zur »Germanisierung« im KZ Buchenwald inhaftierter norwegischer Studenten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Petersen zum Dekan der Sozial-Pädago gischen Fakultät der Universität Jena. 1946 trat er der SPD bei. Später wechselte er zur SED. Trotzdem konnte er sein Schulmodell auch im veränderten politischen System nicht etablieren. 1948 verlor Petersen seinen Posten als Dekan, 1950 wurde seine Universitätsschule geschlossen. Sie galt den Machthabern als »reaktionäres, politisch sehr gefährliches Überbleibsel aus der Weimarer Republik«. 1952 starb Peter Peterson in Jena. Er wurde in seiner Heimat Großenwiehe begraben.

Vivien Barthel, Agnes Theune-Hobbs

Magnus Poser –
in Jena von 1907 bis 1944

Büste von Magnus Poser auf der Gedenkstätte am Nordfriedhof Jena (© Foto privat)

Magnus (Wilhelm) Poser wurde am 26. Januar 1907 in Jena geboren. Von 1913 bis 1921 besuchte er die Ostschule. Während der Schulzeit zwang die Not der Familie die Kinder zum Mitverdienen, so musste er als Botenjunge Waren an die Kunden ausliefern. Durch seine Mitschüler kam Poser erstmals mit Politik in Berührung. 1919/20 schloss er sich mit einigen Klassenkameraden der Freien Sozialistischen Arbeiterjugend (FSAJ) an. Als 14-jähriger trat er in den Deutschen Holzarbeiterverband ein. 1922 schloss er sich der Ordensgemeinschaft der Guttempler an, welche eine politisch und konfessionell unabhängige Organisation bildeten, die sich für eine naturnahe und gesunde Lebensweise einsetzte. Im Oktober 1923 trat die Gruppe in den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) über.

Nach dem Abschluss seiner Ausbildung zum Tischler im Jahr 1925 ging Poser als wandernder Geselle in die Schweiz, nach Österreich, Dänemark und Finnland. Er besuchte auch die Sowjetunion. Ab 1928 arbeitete er im Unternehmen Carl Zeiss. Im selben Jahr trat er der KPD bei. Dort trug er die Verantwortung für Propaganda, Schutzaufgaben und ein illegales Waffendepot. Ein Jahr später trat er dem Freidenkerverband bei und wurde Vorstandsmitglied. 1930 wurde Poser wegen »Landfriedensbruchs« verhaftet, verlor somit seine Anstellung und musste eine dreimonatige Strafe antreten.

DDR­-Briefmarke für Theodor Neubauer und Magnus Poser

1933 wurde Magnus Poser erneut verhaftet und bis 1936 im KZ Bad Sulza sowie danach wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« in der Strafanstalt Ichtershausen inhaftiert. Nachdem er freigelassen worden war, arbeitete Poser bei der Firma Rappe. 1936 heiratete er Lydia Orban. Beide kannten sich aus dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands. Sie bekamen ein Kind, das sie Ruth nannten. 1938 gründete Magnus Poser eine illegale KPD-Ortsleitung. Ihr gehörten auch Sozialdemokraten und Mitglieder der Kommunistischen Partei Opposition (KPO) an, mit denen er entgegen der offiziellen Parteilinie Kontakt hatte. Die von ihm geleitete Organisation schloss sich 1941/42 mit dem Widerstandskreis um Theodor Neubauer zur Neubauer-Poser-Gruppe zusammen. 1944 wurde Poser am Arbeitsplatz verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis der Gestapo nach Weimar überstellt. Er wurde gefoltert, verschwieg aber die Namen seiner Mitstreiter. Infolge eines gescheiterten Fluchtversuchs wurde er schwer verwundet. Magnus Poser starb am 21. Juli 1944 im Krankenrevier des KZ Buchenwald.

Sarah Grund, Leon Hey

Max Grossmann –
in Jena von 1889 bis 1938

Gedenktafel am Max-Großmann-Haus Jena (© Foto privat)

Max Grossmann wurde am 14. April 1877 als Sohn eines jüdischen Mediziners in Bielitz (heute: Bielsko-Biała/Polen) geboren. Ab 1900 studierte er an der Technischen Hochschule Darmstadt Elektrotechnik. 1905 erlangte er das Diplom und wurde Dozent am Technikum Ilmenau. Am 1. Oktober 1909 trat Grossmann als wissenschaftlicher Mitarbeiter in das Jenaer Glaswerk Schott & Genossen (JGS&G) ein und arbeitete in der neu gegründeten Abteilung Elektrotechnik, die er in den Folgejahren übernahm. Im Erstem Weltkrieg war er Reserveoffizier in der Königlich und Kaiserlichen Armee Österreich-Ungarns.

Grossmans bekannteste Erfindung wurde der STIAGleichstromzähler. Bei dem 1922 konstruierten Gerät handelt es sich um einen Quecksilberelektrolytzähler. Er funktioniert, indem Quecksilber in ein Steigrohr mit einer Skala befüllt wird, vergleichbar mit einem Thermometer. Der Stromverbrauch wird an der Höhe der Quecksilbersäule abgelesen. Die ermittelten Werte werden in Kilowattstunden (kWh) angegeben. Ein großer Nachteil der Erfindung ist, dass das Glasröhrchen nach einer gewissen Zeit vollständig gefüllt und damit keine Zählung mehr möglich ist. Grossmann beschäftigte sich darüber hinaus mit der Herstellung von Glas. So entwickelte er für das Deutsche Museum in München eine Glasharmonika. Das Instrument besteht aus ineinandergeschobenen Glasglocken. Durch das Drehen und Reiben der Glocken entstehen Töne.

STIA­-Gleichstromzähler (© gemeinfrei)

Grossmann leitete die Elektroabteilung in der JGS&G bis 1938. Er entwickelte zahlreiche Geräte. Für seinen STIA-Gleichstromzähler meldete er Patente in Deutschland, Österreich, England und in den USA an. Überdies ließ er auch kuriose Dinge patentieren, wie zum Beispiel einen Pfeifenkopf aus Glas. Im Zuge der Pogrome vom 9. und 10. November 1938 wurde Grosmann in das KZ Buchenwald verschleppt. Verschiedene Versuche seines Unternehmens, den Elektrotechniker aus der Haft zurückzuholen, scheiterten. Max Grossmann starb am 21. November 1938 im Alter von 62 Jahren vermutlich infolge massiver Misshandlungen im Konzentrationslager. Sein Grab befindet sich auf dem Jenaer Nordfriedhof. An seiner ehemaligen Wohnung am Forstweg 31 erinnert heute ein Stolperstein an das Schicksal des verdienten Bürgers der Stadt.

Konrad Wollmann, Max Meinhardt, Kevin Brandt